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Aachener Geograph forscht für Promotion über Orte von Graffiti-Kunst und analysiert auch Alsen-Gelände

Großflächige und vielfarbige Motive wie dieses mit Comic-Figur Darkwing Duck von den "Skills", dem Können der Sprayer, die auf Alsen aktiv sind. STUDT/PLANET ALSEN

Es sei schon eine seltsame Situation mit dem Alsen-Gelände, sagt Setus Studt vom Verein Planet Alsen: Für seine Graffiti-Kunst sei der Ort in der entsprechenden Kunstszene weltberühmt, in Itzehoe wisse dies aber kaum jemand. „Es kommen Leute extra aus New York hierher, um sich das anzusehen oder selbst zu sprayen.“

Eine nicht ganz so weite Anreise hatte Christopher Hilmer. Aus Aachen ist der Diplomgeograph der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) nach Itzehoe gekommen, um eine Bestandsaufnahme der Graffiti-Kunst auf Alsen zu machen und die Rahmenbedingungen ihrer Entstehung kennen zu lernen. Hilmer forscht für seine Promotion über „Graffiti-Murals“ – Orte, an denen großflächig und regelmäßig gesprayt wird – in deutschen Städten und ihre Bedeutung als Ausgangspunkte für „soziale Innovation“. Weitgehend betreibt Hilmer dabei Grundlagenforschung. Auf andere Arbeiten der kultur- und sozialgeographischen Stadtforschung kann er kaum zurückgreifen. So ist eine seiner zentralen Forschungsfragen zunächst eine Bestandsaufnahme von Arten und Formen von großflächigen Wandbildern in deutschen Städten und den Umständen ihrer Entstehung. In den Blick nehmen will er auch die „Akteurs- und Interessenkonstellationen“, die durch diese relativ junge, aber weitverbreitete Kunstform entstanden sind.

Rund 50 vergleichbare Orte hat Hilmer schon besucht. Dies gebe es vor allem im Ruhrgebiet auf stillgelegten Industriegeländen. „Hall of Fames“ werden sie in der Szene genannt, erklärt der Geograph. Bisher sei der Begriff wissenschaftlich nicht exakt definiert, aber er meine einen Ort, der eine große Bekanntheit unter versierten Graffiti-Künstlern erreicht hat und deshalb als besonders erstrebenswerter Ort zum Sprayen angesehen wird – quasi nach dem Motto „Sehen und gesehen werden“.

„Alsen ist seit Jahren so ein Ort“, sagt Setus Studt. Er schätzt, dass seit Anfang der 90er mehr als zehntausend Sprayer die Wände verziert haben. Freie Flächen gibt es schon lange nicht mehr, trotzdem entstehen immer neue Kunstwerke, denn für die Ewigkeit werden sie nicht geschaffen, erklärt Studt. „Jeder Künstler dokumentiert sein Werk, und dann wird es von anderen später übersprayt. Das ist so üblich.“ Gerade deshalb bildet Alsen für Hilmers Forschung eine Besonderheit: Denn Studt hat die Graffiti fotografisch dokumentiert. Durch das umfangreiche Bildmaterial lässt sich eine Entwicklung nachzeichnen und nicht nur der Ist-Zustand feststellen, wie es sonst die Regel bei anderen „Hall of Fames“ ist. So lasse sich beispielsweise anhand der „Tags“, der Signaturkürzel, verfolgen, wer wie oft vor Ort war und auch, bei bekannten Künstlern, woher sie kamen.

Studt begrüßt die systematische Erforschung durch Hilmer sehr. Er macht sich Gedanken darüber, wie das, was an Wandkunst auf Alsen entstanden ist und fortlaufend weiter entsteht, bewahrt oder präsentiert werden kann. Eine klassische Musealisierung verbiete sich bei Graffiti, weil diese im Wechselspiel mit der Umgebung zu verstehen seien. „In Hamburg wurde beispielsweise ein virtueller Rundgang von einem nun abgerissenen Gebäude erstellt.“ Studt könnte sich vorstellen, der Graffitikunst auf Alsen einen ähnlichen Platz wie der Industriegeschichte einzuräumen. Solche Überlegungen seien aber noch ganz am Anfang. „Ich denke, der Austausch mit Christopher Hilmer kann da wertvolle Impulse geben.“ Delf Gravert