Schleswig-Holstein Magazin | 14.01.2018 | 19:30 Uhr (N3)

Auf einer schwarz/weiß Aufnahme ist die Alsen'sche Drahtseilbahn zu sehen, die über Acker und einen Fluß führt. © Willy Breiholz

Die Seilbahn der Zementfabrik ist ein Stück Industrialisierungsgeschichte in Schleswig-Holstein.

Zement als Baustoff ist eines der Sinnbilder für Fortschritt und Moderne. Für seine Herstellung braucht es Ton. Aber wie befördert man den Ton am besten aus einer Grube durch Wald, Wiesen, die Stadt mit ihren schmalen Gassen, über einen Fluss in die Fabrik? Mit einer Seilbahn aus Draht, die über all dem hinweg schwebt. 1907 lies die Alsen'sche Zement-Fabrik diese errichten. Es war ein Großauftrag, der 820.000 Mark kostete. Zum Vergleich: Für ein Kilo Brot wurde zu dieser Zeit 14 Pfennig bezahlt.

Beeindruckende Maßstäbe

Sie war Europas längste Drahtseilbahn mit beeindruckenden Maßstäben: Über 13,5 Kilometer führte sie schnurgerade von der Tongrube in Agethorst in die Zementfabrik nach Itzehoe. Dabei musste sie die Stör in einer Höhe von 52 Metern überqueren, damit der Schiffsverkehr nicht beeinträchtigt wurde. 103 Masten trugen die Seilbahn, deren Loren sich mit neun Kilometer pro Stunde bewegten - bei einem Ladegewicht von 500 Kilogramm pro Lore. So konnten bereits Anfang des 20. Jahrhundert 400 Tonnen Ton täglich in die Fabrik transportiert werden - und das durch einen Dampfmaschinenantrieb von gerade mal 100 PS.

Es war für damalige Verhältnisse ein ungewöhnlich effektives Fördersystem, das zugleich umweltfreundlich, leise und sehr zuverlässig funktionierte. Die Seilbahn war eine der Ursachen, weshalb Alsen streckenweise weltgrößter Zementhersteller war. Einfach war die Produktion jedoch nur selten: Zwei Weltkriege, eine Hyperinflation, eine Weltwirtschaftskrise, Umweltschäden und ein Strukturwandel der Industrie fielen in diese Zeit.

Generationen für Zementfabrik

Fünf Männer stehen in einem Metallgerüst auf einer alten schwarz/weiß Aufnahme. © Willy Breiholz

Karl Wahl (links) war Seilbahnmeister in der Alsen'schen Zementfabrik.

Karl Wahl begann seine Lehre 1943 in der Alsen'schen Zementfabrik. Wie bei so vielen Arbeitern war Itzehoe auch seine Heimatstadt. Die Stadt lebte mit der Fabrik und die Fabrik lebte durch den Einsatz der Stadtbewohner. Oftmals arbeiteten Familien über mehrere Generationen für die Alsen'sche Zementfabrik. Auch die Wahls. Von seinem Vater übernahm Karl später den Posten des Seilbahnmeisters, den er bis zum Ende des Betriebs innehatte. Er war verantwortlich für Tragseil, Zugseil, Masten, Loren, Kontrollfahrten und, wenn nötig, Reparaturen. Die Seilbahn fuhr jeden Tag außer an den Wochenenden. Für ihn, so sagt der heute 93-Jährige, bedeutete das allerdings, dass sie genau dann und nur dann Zeit für nötige Ausbesserungen hatten.

Veränderungen durch Modernisierungen

In seiner Funktion als Seilbahnmeister erlebte Karl Wahl auch die Veränderungen, die sich in der Fabrik vollzogen. 1951 investierte die Firma noch einmal viel Geld und ließ Masten, Loren und Seile erneuern. Der Dampfmaschinen-Antrieb der Seilbahn war da bereits durch einen Elektroantrieb ersetzt. So konnten die neuen Loren nun je 830 Kilogramm transportieren, wodurch der Umsatz auf über 1.000 Tonnen Ton je Tag gesteigert werden konnte.

Nach 70 Jahren war Schluss

1977 war dann Schluss. Der Betrieb der Seilbahn wurde nach 70 Jahren eingestellt. Das Werk in Itzehoe selbst produzierte noch fünf weitere Jahre, bevor die Firma fusionierte und den Standort nach Lägerdorf verlagerte. Nach weiteren Fusionierungen, Übernahmen und Umstrukturierungen wird dort heute noch immer Zement hergestellt - allerdings nur noch in einer statt vielen Fabriken, zugehörig zum globalen Holcim Konzern. Und so ist die Geschichte der Drahtseilbahn und der Alsen'schen Zement-Fabrik auch ein Stück Industrialisierungsgeschichte, in einer Arbeitswelt mit Pferd und Kutsche zu einer automatisierten Produktion.